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Glaube

Liborius und die Städtepartnerschaft

19. Juli 2023

Dieser Tage wird in Paderborn eines der größten Volksfeste Deutschlands gefeiert: Libori. Es geht zurück auf die wohl älteste Städtepartnerschaft Europas. Ihre fast 1200-jährige Geschichte kann auch heute Mut machen.

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Historische Darstellung: Libori
Historische Darstellung: LiboriBild: Privat

Was für ein Versprechen: "Immerwährende Liebesbruderschaft". Klingt wie aus der Zeit gefallen. Ist es aber nicht, denn diese Liebesbruderschaft wird jetzt schon seit fast 1200 Jahren gefeiert - und zwar in diesen Tagen wieder am Liborifest in Paderborn, am 23. Juli, und in Le Mans, einer Stadt im Nordwesten Frankreichs.

Hintergrund des Festes ist folgender: Im Jahre 836 werden die Reliquien, also die sterblichen Überreste des heiligen Liborius von Le Mans nach Paderborn übertragen. Das hatte Kaiser Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des Großen, angeordnet und damit eine Strategie verfolgt: Er wollte das Christentum in Sachsen, also im östlichen Teil seines Reiches stärken und etablieren, wie schon sein Vater. Und das sollte durch die Heiligenverehrung und die Unterstützung durch die christlichen Gemeinden des Frankenreiches im Westen, die schon seit Jahrhunderten existierten, geschehen.

Das war quasi eine frühe "Aufbauhilfe Ost". Denn die Heiligen, deren Reliquien man besaß, galten als Schutzpatrone für die Stadt, in der sie aufbewahrt und verehrt wurden. Kein Wunder, dass einerseits das Bistum Le Mans die Abgabe als großes Opfer empfand und andererseits das junge Bistum Paderborn hoch erfreut über den Zugewinn war. Immerhin: Liborius, der wahrscheinlich am 9. Juni 397 gestorben war, galt als Bekenner des Glaubens und war Bischof von Le Mans, der sich in seiner fast fünfzigjährigen Amtszeit für die Christianisierung seines Bistums eingesetzt hatte. Wenn das also kein Vorbild für die Paderborner und ihre Herausforderungen in Sachsen war?!

Bemerkenswert ist nun, dass mit der Übertragung der Gebeine auch eine "Confraternitas caritatis perpetua" begründet wurde, also eine "immerwährende Liebesbruderschaft". Und die gilt bis heute und findet ihren Niederschlag zuletzt noch in der offiziellen Städtepartnerschaft, die 1967 zwischen beiden Städten abgeschlossen wurde.

Wie das so ist mit dem Versprechen immerwährender Liebe: Durch die fast 12 Jahrhunderte hat es immer wieder Höhen und Tiefen gegeben, manchmal auch Funkstille, dann wieder gegenseitige Besuche. Allerdings hat man sich immer wieder an das Gelöbnis der Liebesbruderschaft erinnert - gerade dann, wenn es Probleme gab. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zum Beispiel. Da sollte Paderborn an Hessen fallen und damit evangelisch werden. Um das zu verhindern, suchten die kirchlichen Vertreter Paderborns bei ihren Amtsbrüdern in Le Mans Unterstützung, um Einfluss zu nehmen auf den französischen König. Der wiederum bewirkte daraufhin beim westfälischen Frieden 1648, dass Paderborn katholisch blieb. Kein Wunder, dass fromme Seelen den damaligen Frieden in Europa letztlich dem heiligen Liborius zuschrieben.

Später, im Rahmen der französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts fanden französische Flüchtlinge unter anderem aus Le Mans eine neue Heimat in Paderborn, dank der Erinnerung an die Verbindung unter dem Patronat des heiligen Liborius.

Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde die "immerwährenden Liebesbruderschaft" schließlich auf eine besonders harte Probe gestellt: Wie füreinander einstehen, wenn sich die Nationen in weltumspannenden Allianzen bekriegen? Immerhin erinnern sich während beider Weltkriege die kirchlichen Vertreter beider Städte immer wieder daran, dass es jenseits der nationalen Konflikte etwas Größeres gibt, was sie verbindet, nämlich den gemeinsamen Glauben und das Gebet. Und dabei berufen sie sich auf den heiligen Liborius und die Liebesbruderschaft. So berichtet zum Beispiel ein deutscher Sanitätssoldat und Priester des Erzbistums Paderborn, der 1943 in Le Mans stationiert ist, dass er trotz der Kriegssituation vom dortigen Erzbischof zur Mitfeier am Ostergottesdienst eingeladen wird.

Grund ist die gegenseitige Freundschaft beider Bistümer. Sein Priestergewand kann allerdings die deutsche Uniform nicht ganz verdecken und dokumentiert, wie er selbst schreibt, "die Widersinnigkeit zwischen Weltgeschehen und christlicher Brüderlichkeit".[1]

Nach dem Zweiten Weltkrieg entsendet das Erzbistum Paderborn Priester, die freiwillig in die französische Gefangenschaft gehen, um sich um die dort gefangenen Soldaten seelsorglich zu kümmern. Aus einem Lager nahe Le Mans berichten sie ihrem Bischof von den desaströsen Zuständen, die hier herrschen. Der wiederum wendet sich an den Erzbischof von Le Mans, der schließlich für die Auflösung des Lagers eintritt, die bald darauf erfolgt.[2] Liborius sei Dank!

Wenn in diesen Tagen das Liborifest in Paderborn gefeiert wird, werden bis zu 1,5 Millionen Gäste erwartet - natürlich auch Vertreterinnen und Vertreter aus Le Mans. Das Ganze Spektakel dauert diesmal zehn Tage, bis zum 30. Juli, und steht unter dem Titel: "Pax vobiscum!" "Der Friede sei mit Euch!" Damit wird der Gruß Jesu an seine Jünger zitiert, als er ihnen nach der Auferstehung erscheint, um ihnen Mut und Zuversicht zuzusprechen. Und genau die braucht es heute wieder mehr denn je: Zuversicht, dass Frieden möglich ist, und den Mut, ihn zu erreichen immer wieder neu zu versuchen.

Ich denke da unter dem Stichwort der Städtepartnerschaft an die vielen deutschen Städte, die solch eine Partnerschaft mit der Ukraine aber auch mit Russland haben. Es muss hier ja nicht gleich eine "immerwährende Liebesbruderschaft" gepflegt werden. Aber Unterstützung für die Menschen in der Ukraine ist da besonders wichtig - das wird sicher niemand in Frage stellen. Was aber ist mit den Partnerstädten in Russland? Aktuell ruhen die meisten dieser ca. 90 Städtepartnerschaften. Was aber kommt nach dem Krieg? Und was kann eine Städtepartnerschaft unter kriegerischen Bedingungen bedeuten? Gehören nicht auch Kritik und Ermahnung zu einer Partnerschaft? Und im Bedarfsfall auch gegenseitige (tätige) Unterstützung?Es gibt immer Höhen und Tiefen, wie in der Beziehung zwischen Le Mans und Paderborn. Und da ist interessant zu lesen, was bereits in einem Brief der Paderborner an Le Mans aus dem Jahre 1204 steht, wenn es um die Fortführung einer Partnerschaft geht: "Oft nämlich wird plötzlich das Band der Freundschaft zerrissen, oder es wird allmählich gelöst, solange wir das, was wir mit dem Munde versprochen haben, nicht in Werken verwirklichen; denn der Wille (allein) genügt nicht, wo die Gelegenheit (zur Tat) hinreichend zu Gebote steht…"[3]

[1] Vgl. Gereon Fritz, Paderborn – Le Mans, Geschichte einer Städtefreundschaft, Paderborn 1977, S.73. Der Beitrag verdankt sich dieser historischen Arbeit

[2] Vgl. ebd. S. 74ff.

[3] Zitiert ebd. S.44.

Pater Philipp Reichling
Pater Dr. Philipp Reichling OPraem ist Ordenspriester und Rundfunkbeauftragter der Katholischen Kirche beim WDRBild: Nicole Cronauge