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LiteraturDeutschland

75. Frankfurter Buchmesse beginnt mit Aufreger

18. Oktober 2023

Bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse hat der slowenische Philosoph Slavoj Zizek mit Aussagen zum Israel-Hamas-Konflikt den Widerspruch einiger Gäste hervorgerufen. Slowenien ist Gastland des Branchentreffs.

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Deutschland Literatur l 75. Frankfurter Buchmesse l  Slavoj Zizek, slowenischer Philosoph
Sorgte für hitzige Diskussionen: Slavoj Zizek bei der Eröffnungsfeier der 75. Frankfurter BuchmesseBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Er verurteile die terroristischen Angriffe der Hamas auf die israelische Bevölkerung, so Zizek in seiner Rede bei der Eröffnungsfeier in Frankfurt am Main. Die Hamas wird von Israel, den USA, Deutschland und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft. Die Terroranschläge seien ein schreckliches Verbrechen und Israel habe jedes Recht, sich zu verteidigen. Man müsse aber auch den Palästinensern zuhören und deren Hintergrund beachten, wenn man den Konflikt verstehen wolle, betonte der Philosoph. Es können im Nahen Osten keinen Frieden geben ohne Lösung der Palästina-Frage.

Während der Rede verließen einige Gäste unter Protest mehrfach den Saal - darunter auch der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker. Die Rede wurde unterbrochen. In Begleitung von Frankfurter Lokalpolitikern kehrte Becker schließlich zurück. Er warf Zizek vor, die Verbrechen der Hamas zu relativieren. Dem widersprach Zizek. Man könne über alles sprechen, auch über die Rechte und das Leid der Palästinenser, sagte Becker nach der Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur. Doch das freie Wort habe "dort eine Grenze, wo es in einem Kontext Dinge relativiert, verharmlost und gleichsetzt, wo man sie nicht gleichsetzen kann", so der hessische Antisemitismusbeauftragte.

Zizek: "Ich schäme mich auch ein bisschen, hier zu sein"

Vor der Unterbrechung hatte der Philosoph in seiner Rede ein "Analyseverbot" des Israel-Hamas-Konflikts kritisiert. Er monierte, alle seine Vorredner hätten über Israel, aber niemand über die Palästinenser gesprochen. Die Entscheidung, die Verleihung des LiBeraturpreises 2023 an die palästinensische Autorin Adania Shibli nach hinten zu verschieben und sie nicht auf der Buchmesse auszuzeichnen, halte er für "skandalös". Er sei stolz, auf der Buchmesse zu sein, so Zizek, "und ich schäme mich auch ein bisschen, hier zu sein".

Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse
Juergen Boos, Direktor der Frankfurter BuchmesseBild: Tim Wegner/epd-bild/picture alliance

Buchmessen-Direktor Juergen Boos - am Ende von Zizeks Rede hörbar angefasst - war bemüht, die Situation zu deeskalieren: "Es ist die Freiheit des Wortes. Und die müssen wir hier stehen lassen, das ist mir wichtig." Eine Rede zu unterbrechen müsse zwar möglich sein, er sei aber auch froh, "dass wir die Rede zu Ende gehört haben, auch wenn sie uns nicht gefallen mag. Auch wenn wir sie sogar verurteilen. Es ist wichtig, dass wir uns zuhören."

Boos: "Wichtig, dass wir uns zuhören"

Die Buchmesse ist eine politische Veranstaltung - 2023 mehr denn je: Nach Angaben der Veranstalter hatten Indonesien und Malaysia ihre Teilnahme abgesagt. "Das ist eine Reaktion auf unsere Solidarität mit Israel", so ein Sprecher der Buchmesse. Klar sei aber auch, dass die Messe auch auf der Seite der Palästinenser stünde, die unter der Hamas litten.

Für Mittwoch (18.10.2023) wurde kurzfristig eine Podiumsdiskussion mit dem Thema "In Sorge um Israel" ins Programm eingeschoben - unter anderem mit der Publizistin und Soziologin Eva Illouz. Danach geht es politisch weiter mit der von Journalist Deniz Yücel moderierten Veranstaltung "Hoffnung für Russland". Dort sprechen etwa der russische Exil-Schriftsteller Dmitry Glukhovsky und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wegen dessen Israel-Reise kurzfristig auch bei der Eröffnungsfeier vertrat.

Mehr als 4200 Aussteller aus 95 Ländern

Das Branchentreffen von Autoren, Verlagen und Lesepublikum versammelt in diesem Jahr mehr als 4200 Aussteller aus 95 Ländern. Tausende Neuerscheinungen liegen an den Verlagsständen aus. Über 6000 Medienvertreter sind angereist. Gastland der Jubiläumsmesse (bis 22. Oktober) ist das Balkanland Slowenien. Die Messe öffnet zunächst für Fachbesucher und am Wochenende auch für das Publikum.

Während der Buchmesse werden zahlreiche Preise verliehen. Den Startschuss gab am Montagabend im Frankfurter Römer der Deutsche Buchpreis 2023. Er geht an den Österreicher Tonio Schachinger. Sein Roman "Echtzeitalter" erzählt die Geschichte eines Wiener Teenagers, der mit Computerspielen seine Welt erobert. Die Auszeichnung für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres ist mit 25.000 Euro dotiert. Im vergangenen Jahr erhielt Kim de l'Horizon aus der Schweiz den Preis für den Debütroman "Blutbuch".

Der österreichische Autor Tonio Schachinger, Träger des Deutschen Buchpreises 2023
Erhielt am Rande der Frankfurter Buchmesse den Deutschen Buchpreis: Der österreichische Autor Tonio SchachingerBild: Oliver Mueller /Funke Foto Services/IMAGO IMAGES

Auf der Frankfurter Buchmesse wird traditionell auch der Deutsche Jugendliteraturpreis vergeben. Die Verleihung ist für Freitag vorgesehen. Höhe- und zugleich Schlusspunkt des Preisreigens aber wird am Sonntag die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (22.10.23) in der Frankfurter Paulskirche sein.

Empfänger ist in diesem Jahr Salman Rushdie. Der britisch-indische Schriftsteller war vor etwa einem Jahr bei einem Attentat schwer verletzt worden. Die Laudatio auf ihn hält der Autor Daniel Kehlmann. Im vergangenen Jahr nahm der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan den renommierten Friedenspreis entgegen.

"Worte der Waben": Gastland Slowenien

In diesem Jahr erlebt Frankfurt ein Gastspiel Sloweniens, ein Land mit einer hohen Dichte an Dichtern, aber auch mit einer langen Tradition der Bienenzucht. "Worte der Waben" heißt deshalb das Motto seines Auftritts.

Ein bekannterer unter den 70 Autoren und Übersetzern, die im Ehrengast-Pavillon erwartet werden, ist Drago Jancar. Soeben erschien bei Hanser sein Roman "Als die Welt entstand". Im Interview mit der Deutschen Welle sagte er: "Ich kann nicht schweigen, wenn ich sehe, dass etwas falsch läuft." Über seine Erfahrung mit dem früheren System seines Landes sei er "nie glücklich" gewesen. "Ich kenne den Unterschied zwischen einem autoritären, totalitären und undemokratischen System und der Demokratie", so Jancar.

Das kleine Slowenien zählt rund zwei Millionen Einwohner, war früher Teil des sozialistischen Jugoslawiens. Heute ist das Land EU- und NATO-Mitglied, gezahlt wird mit Euro.

Blick in den slowenischen Gastland-Pavillon
Slowenien ist in diesem Jahr Gastland auf der Frankfurter BuchmesseBild: Hannes P Albert/dpa/picture alliance

Debatte um Verleihung des "LiBeraturpreises" an Adania Shibli

Bereits im Vorfeld hatte der blutige Überfall der Hamas auf Israel die Buchmesse überschattet. Im Messeprogramm sollen deshalb verstärkt israelische Stimmen zu Wort kommen, hatte Buchmesse-Chef Juergen Boos angekündigt. Zu kontroversen Debatten hatte deshalb die geplante Verleihung des "LiBeraturpreises 2023" geführt - die palästinensische Autorin Adania Shibli bekommt ihn für ihr Buch "Eine Nebensache".

Einige Kritiker werfen der palästinensischen Autorin antisemitische Inhalte vor. Aufgrund der Angriffe der Hamas auf Israel wurde die Preisverleihung auf einen noch unbestimmten Zeitpunkt nach der Buchmesse verschoben. Einige arabische Verlage gaben daraufhin am Wochenende bekannt, dass sie sich von der Messe zurückziehen, darunter die Sharjah Book Authority der Vereinigten Arabischen Emirate und - Zeitungsberichten zufolge - der arabische Verlegerverband in Ägypten.

In einem offenen Brief muss sich Litprom e.V., der Organisator des deutschen LiBeraturpreises, deutliche Kritik anhören. Über 1200 Autoren, Redakteurinnen und Verleger (Stand: 18.10.2023) haben den Brief unterzeichnet, darunter u.a. die Literaturnobelpreisträger- und trägerinnen Annie Ernaux, Abdulrazak Gurnah und Olga Tokarczuk sowie die Booker-Preis-Gewinnerin Anne Enright.

Erste Frankfurter Buchmesse im Jahr 1949

Im Jubiläumsjahr blickt die Frankfurter Buchmesse in eine bewegte Geschichte. Sie nahm 1949, mit dem Neustart des Kulturlebens in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Anfang. Zur ersten Ausgabe kamen damals 205 deutsche Aussteller in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Heute ist die Frankfurter Buchmesse die weltgrößte Buchmesse und ein internationales Markenzeichen.

Immer wieder war und ist die Buchmesse eine Plattform für große Auftritte und gesellschaftliche Debatten. Bereits 1959 machte der deutsche Autor und spätere Literaturnobelpreisträger Günter Grass mit seinem Roman-Debüt "Die Blechtrommel" Furore.

Salman Rushdie
Der Schriftsteller Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2023Bild: Jamie McCarth/Getty Images via AFP

1975 stellte der Boxer Muhammad Ali (1942-2016) seine Memoiren vor. Titel: "Der Größte", was ein Reporter seinerzeit als "Tiefschlag gegen die Literatur" abtat. Seither zeigten viele Sportler auf der Buchmesse Flagge: Der Fußballer Franz Beckenbauer etwa, später die Tennislegende Boris Becker oder zuletzt Basketballspieler Dirk Nowitzki.

Skandal um Martin Walsers Rede

Einen Skandal löste 1998 die Dankesrede Martin Walsers nach der Entgegennahme des Friedenspreises aus. Darin kritisierte der Autor (1927-2023), dass man den Deutschen immerzu ihre nationalsozialistische Vergangenheit vorhalte, was auf Dauer nicht helfe, um die NS-Zeit in kritischer Erinnerung zu behalten.

Stattdessen animiere es die Menschen zum Wegschauen, wodurch die Gefahr bestünde, dass Auschwitz zur "Moralkeule" verkomme. Walser schlug heftige Kritik entgegen. Ignatz Bubis, damals der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, warf ihm "geistige Brandstiftung" vor. Schließlich legten die Kontrahenten ihren Streit jedoch bei.

Logo der 75. Ausgabe der Frankfurter Buchmesse
Jubiläumslogo der 75. Frankfurter Buchmesse Bild: Frankfurter Buchmesse

Für Aufsehen sorgte die Buchmesse auch 1989, als die Veranstalter Iran wegen des Mordaufrufs gegen den britisch-indischen Autor Salman Rushdie von der Messeteilnahme ausschlossen. Zuvor waren Rushdies "Satanische Verse" erschienen, ein Roman, der teils vom Leben des islamischen Propheten Mohammed inspiriert ist. Religiöse Fanatiker um Irans damaligen Staatschef Ajatollah Chomeini sahen ihren Religionsstifter beleidigt, weshalb sie Rushdie mit einer Fatwa belegten. 

Debatte um rechte Verlage 

Auch das gehört zur Geschichte der Buchmesse: Bei der Ausgabe 2017 gab es Diskussionen um die Zulassung rechter Verlage. 2021 sagten mehrere schwarze Autorinnen ihren Buchmessenbesuch wegen Sicherheitsbedenken ab.

Die Corona-Pandemie zwang die Frankfurter Buchmesse 2020 zum Verzicht auf eine Hallenausstellung, die Branche traf sich virtuell. Seit 2021 ist die Messe wieder da, wenn auch anfangs wegen strenger Corona-Regeln zunächst nur mit kleinerer Besucherzahl.

Zu den großen Themen der Frankfurter Buchmesse gehören schließlich Künstliche Intelligenz, Klimawandel und der Kampf gegen Populismus und Extremismus. Auch das Erstarken der AfD und der anhaltende Krieg in der Ukraine dürften zahlreiche Podien bestimmen, ebenso wie der Krieg in Nahost.

Dieser Artikel erschien erstmals am 17.10.2023. Er wurde am 18.10.2023 aktualisiert.

Nikolas Fischer, Redakteur
Nikolas Fischer Reporter und Redakteur