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LiteraturDeutschland

LiBeraturpreis an Adania Shibli: Vorwürfe gegen Litprom

19. Oktober 2023

In einem offenen Brief üben Autorinnen und Autoren scharfe Kritik an der Litprom: für die Verschiebung der Preisverleihung an die palästinensische Autorin Adania Shibli - und außerdem für eine Falschaussage.

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Porträtaufnahme der palästinensische Autorin Adania Shibli
Die palästinensische Autorin Adania Shibli Bild: Hartwig Klappert

In einem offenen Brief, der zuerst auf der Plattform Arablit.org veröffentlicht wurde und den mehr als 1200 Autoren, Redakteure und Verleger (Stand: 18.10.2023) unterzeichnet haben, muss sich der Organisator des deutschen LiBeraturpreises, der gemeinnützige Verein Litprom, der unter anderem durch die Frankfurter Buchmesse unterstützt wird, Vorwürfe gefallen lassen.

"Raum für eine palästinensische Stimme geschlossen"

Die Verleihung des LiBeraturpreises 2023 an die palästinensische Autorin Adania Shibli für deren kontrovers diskutierten Roman "Eine Nebensache" wurde auf einen noch nicht definierten Zeitpunkt verschoben und findet nicht mehr wie ursprünglich geplant am 20. Oktober, also während der Buchmesse, statt. "Zu einer Zeit, in der die Messe eine Erklärung herausgegeben hat, in der es heißt, sie wolle israelische Stimmen 'auf der Messe besonders sichtbar machen', schließen sie den Raum für eine palästinensische Stimme", heißt es dazu im Offenen Brief. Unterzeichnet wurde er u.a. von den Literaturnobelpreisträger- und trägerinnen Annie Ernaux, Abdulrazak Gurnah und Olga Tokarczuk und der Booker-Preis-Gewinnerin Anne Enright.

Die Verschiebung sei "skandalös", hatte auch der slowenische Philosoph Slavoj Zizek bei der Eröffnung der Buchmesse gesagt. Eine öffentliche Diskussion mit Adania Shibli und ihrem Übersetzer Günther Orth war ebenfalls abgesagt worden.

Ein Mann steht an einem Rednerpult mit der Aufschrift "Frankfurter Buchmesse" und gestikuliert
Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek sorgte bei der Eröffnung der 75. Frankfurter Buchmesse für heftige DiskussionenBild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Die Absage von kulturellen Veranstaltungen sei "nicht der richtige Weg", so die Autorinnen und Autoren des Offenen Briefs. "Wir erinnern uns an die Frankfurter Buchmesse, die türkische Verleger unterstützt hat, und an die voraufgezeichnete Ansprache des ukrainischen Präsidenten Selenskyj letztes Jahr." Die Buchmesse habe die "Verantwortung, palästinensischen Schriftstellern Raum zu geben" und "ihre Gedanken, Gefühle und Überlegungen (…) nicht abzuschalten", heißt es weiter.

"Einer der Zwecke der Literatur ist es, das Verständnis und den Dialog zwischen den Kulturen zu fördern", zitiert der Offene Brief Shiblis britischen Verleger Jacques Testard von Fitzcarraldo. "In einer Zeit, in der so viel Gewalt und Herzschmerz herrscht, hat die größte Buchmesse der Welt die Pflicht, sich für literarische Stimmen aus Palästina und Israel einzusetzen."

Shibli an Verschiebungsplänen offenbar nicht beteiligt

Neben der Verschiebung der Preisverleihung an sich kritisiert der Offene Brief auch die Verbreitung von Unwahrheiten: "Aufgrund des Kriegs in Israel" habe man sich "gemeinsam mit der Autorin" entschlossen, die geplante Preisverleihung auf der Frankfurter Buchmesse abzusagen, war auf der Litprom-Website am 13. Oktober zu lesen. 

Laut des Offenen Briefes ist das falsch - demnach wurde Adania Shibli gar nicht gefragt, ob sie mit der Verschiebung der Preisverleihung einverstanden ist. Die Entscheidung sei ihr nur vorgelegt worden. Hätte die Zeremonie stattgefunden, so hätte sie "die Gelegenheit genutzt, um über die Rolle der Literatur in diesen grausamen und schmerzhaften Zeiten nachzudenken", wird Shibli im Offenen Brief zitiert. Inzwischen sind Korrekturen auf der Vereinswebsite vorgenommen worden, von einer Beteiligung Shiblis an der Absage ist nichts mehr zu lesen.

Preisvergabe an sich hat Bestand

Die Preisvergabe an sich, eine Auszeichnung für Autorinnen aus dem Globalen Süden, deren Buch neu auf Deutsch erscheint, stand laut Litprom indes "zu keinem Zeitpunkt in Frage" - trotz der Kritik an Shiblis Roman "Eine Nebensache", dem manche Rezensenten antisemitische Narrative vorwerfen. "Die in Teilen der Presse erhobenen Vorwürfe und Diffamierungen gegen die Autorin und den Roman weist Litprom entschieden und als inhaltlich nicht begründet zurück", heißt es dazu.

Buchcover: "Eine Nebensache" von Adania Shibli
Kontrovers diskutiert: Shiblis Roman "Eine Nebensache"Bild: Berenberg Verlag/dpa/picture alliance

Shiblis Roman sei ein "streng durchkomponiertes Kunstwerk, das von der Wirkmacht von Grenzen erzählt und davon, was gewalttätige Konflikte aus Menschen machen". Ihre Entscheidung hatte die Jury des LiBeraturpreises bereits viele Monate vor dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel getroffen. Die Hamas wird von Israel, den USA, Deutschland und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft.

Zuvor hatte sich schon der Autorenverband PEN Berlin zur Kritik an dem Buch geäußert. "Kein Buch wird anders, besser, schlechter oder gefährlicher, weil sich die Nachrichtenlage ändert", so PEN-Berlin-Sprecherin Eva Menasse. "Entweder ist ein Buch preiswürdig oder nicht. Die schon vor Wochen getroffene Entscheidung der Jury für Shibli war nach meinem Dafürhalten eine sehr gute. Ihr den Preis zu entziehen, wäre politisch wie literarisch grundfalsch."

Porträtaufnahme der Schriftstellerin Eva Menasse
Eva Menasse: "Entweder ist ein Buch preiswürdig oder nicht."Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die 1974 geborene Autorin Adania Shibli lebt und arbeitet in Deutschland und Jerusalem. 2021 hatte sie die Friedrich-Dürrenmatt-Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern inne. "Eine Nebensache", ihre erste Buchveröffentlichung auf Deutsch, stand 2022 auf der Shortlist des Internationalen Literaturpreises. Die englische Übersetzung war für den ­National Book Award (2020) und den ­International Booker Prize (2021) nominiert. 

Nikolas Fischer, Redakteur
Nikolas Fischer Reporter und Redakteur